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Drei Monate frei – und das jedes Jahr: „Das große Gut namens Freizeit”
Kultur

Drei Monate frei – und das jedes Jahr: „Das große Gut namens Freizeit”

Hasina Lakdawalas Arbeitszeitmodell ist so gestrickt, dass sie neun Monate arbeitet und in den Sommermonaten von Mitte Juni bis Mitte September frei hat. Wie macht sie das?

04.04.2019 Autorin Linda Gondorf Lesedauer: 3 Minuten
„Im Sommer ist sie nie da“. Der Satz passt auf Hasina’s Arbeitszeitmodell, denn Hasina kann sich drei Monate lang komplett auf ihre privaten Aktivitäten konzentrieren. Keinen Termindruck, keine beruflichen Verpflichtungen. Wie das geht? Wir stellen das Arbeitszeitmodell vor:

Es ist Sommer in Italien und schon am frühen Morgen ist es angenehm warm. Sie streift sich ihre Lederweste über’s T-Shirt, denn für die schwarze schwere Lederjacke wird es viel zu heiß. Ein luftiger Jet-Helm schützt ihren Lockenkopf: Der perfekte Tag für eine lange Tour auf ihrer Harley-Davidson. Auf der bulligen Maschine geht es von Venedig nach Ancona und rüber nach Kroatien. Die Route führte sie bis nach Dubrovnik und dann zurück über die kroatischen Inseln nach Österreich. Vorbei an atemberaubenden Gebirgszügen, die sich perfekt zum Cruisen eignen. Es ist ein Trip, der Hasina Lakdawala noch Jahre in Erinnerung bleiben wird.

Vier Wochen war Hasina vergangenes Jahr mit ihrem Partner auf den Harleys unterwegs. Eine Reise, die sie schon lange machen wollte. Endlich geschafft. Davor hatte sie vier Wochen zur Vorbereitung. Routen wurden rausgesucht und die Motorräder auf Vordermann gebracht. Nach der Reise direkt wieder ab ins Büro? Weit gefehlt: Für Hasina hieß es erst einmal entspannen, die Ereignisse wirken lassen, aufarbeiten, runterkommen. All das geht nur, weil Hasina jedes Jahr drei Monate im Jahr frei hat.

Was ist ihr Arbeitszeitmodell?


„Ich habe mir mein Arbeitszeitmodell so gestrickt, dass ich neun Monate hier bei OTTO arbeite und in den Sommermonaten von Mitte Juni bis Mitte September frei habe“, erzählt sie im Social-Space beim Gespräch. Hasina ist Divisional Assistant, befindet sich gerade auf dem Weg zum Agile Master – qualifiziert sich in diese Richtung. Sie wird in der Business Intelligence, dem Technologiebereich bei OTTO, effizientes und agiles Arbeiten umsetzen und begleitet die Teams projektbezogen.
Schon seit über 27 Jahren arbeitet Hasina beim Onlinehändler, war bereits in ihren Zwanzigern Sekretärin. „Als ich bei OTTO anfing, war es noch üblich, klassische Kostüme und Pumps zu tragen. Es gab noch Schreibmaschinen und das Internet war damals noch gar nicht erfunden. Im Gebäude durfte geraucht werden. Da hat dir der Chef noch mit seiner Zigarette über die Schulter geschaut, woran du denn so arbeitest. Das ist heute unvorstellbar. Nun sitze ich auf einer modernen Fläche, wir machen Desk-Sharing, ich bin viel im Gebäude unterwegs, wir duzen uns alle und ich habe für mich die perfekte Arbeitsstrategie gefunden. Ich würde sagen, das alles ist sehr positiv.“ Hasina ist damals in ein konservatives Unternehmen eingetreten. Früher hätte sie zum Beispiel niemals Jeans getragen. Geschweige denn drei Monate freibekommen.

Wir haben es in dieser schnelllebigen Gesellschaft verlernt, mit uns selbst klarzukommen

Hasina ist Divisional Assistant, lässt sich gerade zum Agile Master ausbilden

Schon mit 35 Jahren nahm die heute 52-Jährige für zwei Monate eine Auszeit, reiste mit dem Rucksack durch Afrika. Damals ging das über Resturlaub aus dem vorigen Jahr, neuen Urlaub und über abgefeierte Überstunden. Nach der Reise stellte die junge Hasina mit Erschrecken fest, dass die Zeit bis zur Rente noch 30 Jahre beträgt. Ein Graus. Sie brauchte ein anderes Arbeitszeitmodell, wollte anders leben. „Ich nahm mir schon damals vor, mit 50 ein anderes Modell für mich zu finden. Am liebsten mit mehreren Monaten Freizeit am Stück. Einfach mal unbeschwert frei sein, so wie damals in der Schulzeit in den großen Sommerferien.“ Ihr Traum von mehr Freizeit und mehr Reisen.

So arbeiten, wie es zum eigenen Leben passt


Seit 2015 hat die Motorrad-Liebhaberin eine 75-Prozent-Stelle. Wie das geht? Sie arbeitet in neun Monaten Vollzeit und sammelt an, um dann drei Monate Auszeit nehmen zu können. 2019 ist ihr viertes Jahr mit diesem Konzept. Aufgefallen ist Hasina das Konzept bei Kollegen: Bei OTTO teilten sich zwei Sekretärinnen eine Stelle. Die eine arbeitete drei Monate und reiste neun Monate, die andere hatte drei Monate Freizeit und arbeitete neun Monate. „Ich habe die beiden bewundert und immer gesagt, dass sie an mich denken sollen, wenn einer das Unternehmen verlässt. Und genauso war es dann und die Personalabteilung kam auf mich zu und fragte, ob ich Interesse hätte, den Job zu übernehmen.“ Natürlich hatte Hasina großes Interesse und auch der Chef war mit ihr als Neubesetzung einverstanden. Da wusste sie, dass sie endlich ihr Modell leben kann. „Ich habe im Nachgang geschmunzelt, weil ich mir das tatsächlich bis spätestens 50 vorgenommen hatte und dann auch wirklich in die Tat umgesetzt habe.“

Was macht sie in den drei Monaten?


Im Wesentlichen geht es in den drei Monaten um Erholung, Selbstreflexion, das Leben genießen, achtsam sein. Hasina muss nicht immer etwas machen, sondern darf sich auch einfach entspannen. „Wir haben es in dieser schnelllebigen Gesellschaft verlernt, mit uns selbst klarzukommen. Ich musste das auch erst lernen und liebe es nun“, erzählt sie. Endlich mal das Hamsterrad verlassen. Vergangenes Jahr gönnte sie sich mit ihrem Freund den großen Harley-Trip von Italien nach Kroatien. Ein Wunsch, den sie sich beide endlich erfüllen konnten.

2019

Für dieses Jahr steht etwas Neues auf dem Plan: Statt große Ziele, wie den Jakobsweg zu wandern, lieber mal die Heimat von einer anderen Seite besser kennenlernen. Den grünen Ring um Hamburg möchte sie gerne werktags wandern, wo alle anderen arbeiten. Der beträgt rund 100 Kilometer und sie kann dann am Wochenende mit ihrem Partner und im Freundeskreis zusammen etwas unternehmen. „Natürlich werde ich auch wieder viel unterwegs sein, viel lesen, mich weiterbilden und Yoga machen, aber manchmal ist es eben doch schöner, zu zweit zu reisen oder sich im Freundeskreis zu treffen.“ Mal eine Tour hier, mal eine Wanderung dort. Sie ist ein Mensch, der in Bewegung sein muss und die Kommunikation liebt, bewusst mit ihrem Leben und dem Thema Zeit umgeht. Ein Arbeitszeitmodell, wie es Hasina für sich entdeckt hat, gibt es kein zweites Mal bei OTTO. Sie war schon damals mit 35 Jahren Vorreiter mit ihrer Auszeit. Heute ist sie Vorbild, weil man merkt, wie viel man selbst bewegen kann, wenn man nur fragt. Die Angst vor dem Verdienstausfall bei gleichbleibenden Fixkosten hatte auch Hasina. Solch einen Schritt zu gehen und die 100-Prozent-Stelle aufzugeben, muss gut überlegt sein. „Doch unsere Zeit ist begrenzt und Gott sei Dank hat sich im Laufe der Jahre in Unternehmen viel verändert. Menschen haben Interesse daran, eine Auszeit zu nehmen. Also wartete nicht so lange - tut es auch“, animiert Hasina und lacht.

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