„Multichannel, vom E-Commerce aus gedacht"
Wie Connected Commerce das Einkaufen verändern kann
Die klassische Wertschöpfung im Handel unterstellt zweierlei: nur der Handel kann die Lücke zwischen Hersteller*in und Endkund*in wirklich schließen – etwa durch Beratung über ein breites und/oder tiefes Sortiment – und in der Kaufsituation fallen Ware, Information und Transaktion (weitgehend) zusammen.
E-Commerce beruht hingegen im Kern auf digitaler Wertschöpfung und unterstellt, dass räumliche und zeitliche Distanz für die Information und Transaktion unerheblich sind. Statt einen Bestand an Ware, Service oder Personal vorzuhalten, müssen herausragende Prozesse entwickelt und kontrolliert – aber nicht zwingend selbst „besessen“ oder erbracht werden.
Wenn sich die beiden Handelsformen so deutlich unterscheiden, sind dann alle Multi-, Cross- und Omnichannel-Phantasien haltlos? Ist der klassische Handel tatsächlich unwissentlich tot und nicht mehr zu retten?
„Lokale Nähe rechtfertigt keine Preisaufschläge"
Nähe hat in der Prozessdenke der digitalen Intermediären eine hohe Relevanz
Nicht, wenn er seinen Ausgangspunkt umkehrt: wenn er nicht E-Commerce vor seiner Handelsstufe und alten Wertschöpfung betrachtet, sondern wenn er seine lokale, stationäre und außendienstgetriebene Position zwischen Hersteller*in und Kund*in vor dem E-Commerce interpretiert. Wenn er selbst zum Intermediär wird.
Lokale Nähe genügt als Wert nicht mehr, um Sortimentsgrenzen und Preisaufschläge jederzeit zu rechtfertigen. Aber „Nähe“ hat in der Prozessdenke der digitalen Intermediären weiterhin eine hohe Relevanz. Das gilt für die Optimierung der Suchmaschinen-Performance, und es zeigt sich an kooperativen Zustellstrukturen, bei denen stationäre Händler Aufträge aus dem E-Commerce übernehmen und „abwickeln“ – als Teil der oben genannten integrierten Handelsprozesse. Es ist weniger Intralogistik (Lagerbewirtschaftung), als Handelsdistribution.
Es ist in diesem Sinn ein verbreitetes Missverständnis, dass ein E-Commerce-Unternehmen, das eine Filiale eröffnet, ein Multichannel-Anbieter und damit Teil des Einzelhandels-Wertschöpfungsmodells würde. Mag sein, dass die Filiale an sich in Teilen einem traditionellen Modell unterliegt, im Gesamtkonstrukt ist sie aber voll in führende digitale E-Commerce-Prozesse einbezogen. Die Filiale dient dazu, weitere Vernetzungen zu ermöglichen, ist aber heutzutage nicht mehr als Wert an sich gedacht.
Filialen werden zu Showrooms
Die Filiale ist auch nicht wichtig für das Geschäftsmodell, das auf eine direkte Belieferung ausgerichtet ist (zum Beispiel durch Kommissionierung aus einem Zentrallager, Transaktion vor Warenübergang etc.). Die Filiale kann in einem gegebenen Fall einen besseren digitalen Prozess ermöglichen. Denn das Produkt ist vor Ort, der/die Kund*in hat einen dringenden Bedarf, die Bonität oder der Kund*innenstatus verlangen Vorauskasse oder Nachnahme. So kann die Filiale eigene Produkte besser inszenieren und erlaubt damit eine zusätzliche sowie höhere informatorische Wertschöpfung. Sie ist dann aber eher Showroom als Einzelhandel. Das ist heutzutage Fakt.
Umgekehrt kann ein Multichannel-Einzelhändler eine eigene digitale Wertschöpfung, in Form einer Rückwärtsintegration in E-Commerce-Modelle, entwickeln. Nehmen wir als Beispiel „Mode“. Ein lokaler Händler könnte die Entwertung der lokalen Präsenz mit einem starken digitalen Angebot konterkarieren: Statt den/die Hausschneider*in zu wählen, werden Schneideraufträge online an verschiedene, über eine IT-Plattform angeschlossene, Vertrags-Schneidereien vergeben, so dass auch taggleich genäht werden kann.
Neue Wertschöpfungsfunktionen haben ein Daten-Fundament. Sie bewegen sich in einer IT-orientierten Infrastruktur „end-to-end“ (E2) zwischen Fertigung und Endverbraucher*in und werden als Prozesse flexibel gestaltet und kundenseitig vom Endpunkt her gesteuert.
Um echte digitale Mehrwertmodelle für „neuen Handel“ zu entwerfen, muss man sich zuerst vom klassischen Wertschöpfungsmodell des Handels verabschieden. E-Commerce gehört keiner klassischen Handelsstufe an.